Safer Internet Day 2023: Stress im digitalen Alltag

Datum: 14.04.2023 | Lesezeit: 9 Minuten

Der SID sowie die zu diesem Anlass von uns organisierte Veranstaltung zum Stress im digitalen Alltag liegen nun rund zwei Monate zurück. Zum Video auf unserem Instagram-Kanal gelangt ihr hierüber. Damit die besprochenen Themen nicht in Vergessenheit geraten, tragen wir die Ergebnisse kurz und verständlich zusammen.

Digitaler Stress – digitaler Burnout

Was ist digitaler Stress?

Als 2007 das erste Smartphone auf dem Markt erschienen ist, haben sich die meisten Menschen nicht mit dem Thema Medienkompetenz beschäftigt. Erst jetzt merken wir an unseren Kindern, die mit weitaus entwickelteren Technologien konfrontiert sind, dass auch wir als Elterngeneration hier einen Nachholbedarf haben. Denn genauso wie die Kinder tappen auch die Erwachsenen immer wieder in digitale Stressfallen. Digitaler Stress ist eine „Stressform, die durch die Nutzung und Allgegenwärtigkeit von Informations- und Kommunikationstechnologien verursacht wird“ (Linde Verlag 2021: Minute 1.17-1.25). Die digitale Daueralarmbereitschaft kann zu digitalem Stress und bei Überforderung unserer kognitiven, psychischen und sozialen Fähigkeiten sogar zu digitalem Burnout führen (vgl. Markowetz 2015: 17).

Warum ist es notwendig, das Phänomen des digitalen Stresses anzusprechen?

Wir leben in einer digitalisierten Welt, in der sich Technologien immer schneller verbreiten und Menschen immer häufiger Ablenkung erfahren. Neue Technologien und Anwendungen sind nützlich für Gesellschaft und Wirtschaft. Der dabei zunehmende Stress im digitalen Alltag findet gegenwärtig jedoch zu wenig Beachtung. In unserem Vortrag haben wir auf Stressfallen aufmerksam gemacht – sowohl bei erwachsenen Menschen als auch bei Kindern –, um wiederkehrende Muster herauszustellen. Im Modus der Reflexion sind diese Schritte notwendig, um mit der Kenntnis über eigene Stressfallen zu einer Medienbalance zu gelangen. Denn wir erwachsene Menschen sind Vorbild – im Besonderen für unsere Kinder, im Allgemeinen für alle anderen Menschen in unserem Umfeld.

Eure Stressfallen im Alltag erkennen

Was sind alltägliche Stressfallen für Erwachsene?

Das Smartphone ist ständige Begleitung. Wer kennt sie nicht, die Überbrückung der Wartezeit auf Bahn und Bus mit dem Smartphone, der Blick aufs Smartphone nach dem Aufwachen oder Aufstehen am Morgen sowie abends vor dem Einschlafen. Deshalb stellt sich die Frage: Kennt ihr noch Langeweile oder leidet ihr unter dem Smartphone-Reflex?
Doch nicht nur in diesen Situationen, sondern insgesamt schauen Erwachsene rund 88 Mal pro Tag auf ihr Smartphone: „35 Mal davon schauen wir auf die Uhr oder sehen nach, ob eine Nachricht eingegangen ist – eine geringfügige Unterbrechung. Doch die restlichen 53 Mal entsperren wir tatsächlich das Handy, um mit ihm zu interagieren, also E-Mails zu schreiben, Apps zu benutzen oder zu surfen“ (Markowetz 2015: 12). Bei circa 16 Stunden Wachphase und bei Gleichverteilung aller Unterbrechungen nehmen wir das Smartphone durchschnittlich alle elf Minuten in die Hand und alle 18 Minuten interagieren wir mit diesem. Besonders erschreckend daran ist, dass wir durch (geringfügige) Unterbrechungen kaum noch den sogenannten Workflow erreichen, da sich dieser erst nach 15 Minuten einstellt. Wir versuchen uns im (Berufs)Alltag also am Multitasking, obwohl nachgewiesen ist, dass Menschen nicht fähig sind, permanent zwischen verschiedensten Aufgaben zu wechseln. Stattdessen wird unser Gehirn unnötig belastet und wir kommen in einen gestressten und gereizten Zustand.

Exkurs: Die genannten Zahlen stammen aus dem Buch Digitaler Burnout von Alexander Markowetz. Grundlage für die darin präsentierten Daten ist eine von ihm durchgeführte Studie aus dem Jahr 2015. Warum beziehen wir uns dennoch darauf? Die Ergebnisse der Studie sind mithilfe der App Menthal, die zu Forschungszwecken entwickelt wurde, generiert worden. Dabei wurde die Handy-Nutzung von 60.000 Personen ausgewertet. Seitdem hat es zu dem Thema keine weitere repräsentative Studie gegeben, die neuere Daten liefern könnte. Es ist davon auszugehen, dass die Anzahl an geringfügigen Unterbrechungen in den letzten Jahren gestiegen ist.

Damit zusammenhängend, hat sich unsere Kommunikation dahingehend entwickelt, dass wir kaum noch miteinander telefonieren. Stattdessen läuft ein Großteil unserer Kommunikation über E-Mails oder Nachrichten. In die Stressfalle tappen wir, weil wir Nachrichten und E-Mail immer und überall schnell beantworten können. Sprachnachrichten können dahingehend eine Erleichterung sein, denn wir müssen uns endlich wieder Zeit nehmen, Sprachnachrichten von anderen zu hören und auf diese zu antworten. 

Was sind Stressfallen für Kinder?

In Gesprächen mit Kindern, in unseren Workshops, konnten wir bereits diverse Stressfallen im digitalen Alltag von Kindern herauskristallisieren.
Bereits die Angst ohne Handy zu sein – auch unter Nomophobie bekannt –, kann sowohl für Kinder als auch für Erwachsene Stressauslöser sein. Unser Handy ist bereits ein fester Bestandteil unseres Körpers geworden und ohne dieses fühlen wir uns nackt und oftmals hilflos/ohnmächtig.
Doch nicht nur die Abwesenheit von Smartphones kann Stress auslösen, denn Anwendungen wie Snapchat und das Phänomen des Flammensammelns kann bereits Druck auslösen. Hierbei geht es darum, dass Nachrichtenschicken innerhalb eines 24-stündigen Zeitfensters verschickt werden und das täglich, sind können keine Flammen-Emojis gesammelt werden. Auch Online-Spiele und der vorhandene Handlungsdruck immer ein Level weiterzukommen, kann Kinder unter Strom setzen. Und selbst die Kommunikation mit Familie und Freund:innen kann Druck auslösen, sobald Kinder das Gefühl haben, sofort auf Nachrichten antworten zu müssen.
Ein weiteres sehr bekanntes Thema und weitverbreitete Stressfalle nennt sich FOMO – im Englischen fear of missing out. Die Angst etwas zu verpassen ist mit dem Aufkommen sozialer Medien bekannt geworden. In diesen teilen Menschen die schönen Momente ihres Lebens, was bei Menschen das Gefühl hervorrufen kann, dass sie etwas verpassen. Um es konkreter zu machen: Eine Person kann nicht mit ins Kino, weil sie Hausaufgaben machen muss, sieht aber über den Instagram-Kanal der Freund:innen, dass diese ganz viel Spaß haben. Es kommt dazu, dass sich diese Person nicht mehr richtig konzentrieren kann und traurig ist, weil sie etwas scheinbar Cooles verpasst.

Wiederkehrende Muster für Stress im digitalen Alltag erfassen 

Es ist wichtig zu hinterfragen, WIE die Gewohnheiten aussehen und welches die eigenen Stressfallen sind. Daraufhin ist zu überlegen, WARUM wir uns diese Verhaltensmuster angewöhnt haben. Das Überspielen schlechter Gefühle, Unzufriedenheit in einem Lebensbereich oder Eskapismus können Beispiele dafür sein. Sobald das warum ergründet wurde, ist es wichtig sich mit dem WOFÜR auseinanderzusetzen, also zu überlegen, wofür und für wen wir unsere Gewohnheiten gerne verändern möchten. Mehr Zeit mit der Familie oder die Rückschau auf ein glückliches und achtsames Leben können solche Gründe sein!

Medienbalance in eurem Alltag

Die Möglichkeiten einen achtsamen Umgang mit Medien zu erlangen sind vielfältig, darunter fallen auch paradoxe Hilfestellung. Es gibt zahlreiche Applikationen – zum Beispiel One Sec –, die dabei unterstützen sollen, die Bildschirmzeit einzuschränken. Wir bezeichnen diese Apps als zum Teil widersprüchlich. Auf der einen Seite wenden wir Zeit auf, Programme auf unseren Endgeräten zu installieren. Auf der anderen Seiten sollen uns genau diese Apps daran erinnern, weniger Zeit auf digitalen Endgeräten zu verbringen. Nichtsdestotrotz können solche Apps Reflexionen von Verhaltensmustern initiieren und sich sogar positiv auf die Bewusstseinsveränderung auswirken. Ähnlich wirken visuelle Anker in Form von Post-It’s, die einen ans Ziel erinnern.

Wie bereits erwähnt gibt es zahlreiche Hilfestellungen, deshalb haben wir einmal eine Liste für euch bereitgestellt: 

  • Bildschirm auf Graustufen schalten, um Trigger von App-Entwickler:innen unterbrechen
  • Zu Hause Smartphone-Plätze und handfreie Zonen einrichten
  • Mit der Pomodoro-Technik soll sich in 25-minütigen Arbeitseinheiten einer einzigen Aufgabe gewidmet werden. Während dem fokussierten Arbeiten sollen auch die Benachrichtigungen ausgestellt werden.
  • Nachrichten im eigenen Tempo und ohne Stress beantworten

Es dauert eine Weile bis sich das Umfeld daran gewöhnen wird, aber das Gegenüber wird dankbar sein, dass der Druck immer antworten zu müssen, herausgenommen wird.

  • Verhaltensänderung im Umgang mit E-Mails
  • Posteingang leeren, in Ordner verschieben
  • E-Mail-Postfach nicht dauerhaft, sondern nur dreimal am Tag abrufen
  • Newsletter abbestellen
  • Etwas für die Stressbewältigung tun. Wir können Sport treiben und uns in Achtsamkeit üben – Meditation, Yoga, Zeit in der Natur –, vermehrt pflanzenbasiert ernähren und weniger tierische Produkte essen.

Es gibt bestimmt noch viele weitere Techniken – wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Falls euch noch weitere Techniken einfallen, könnt ihr uns gerne eine E-Mail schreiben, damit wir die Liste über die Zeit vervollständigen können!

Vorbild für eure Kinder und andere Menschen sein 

In seinem Buch berichtet Markowetz ebenfalls von Studienergebnis bei Kindern und Jugendlichen. Der Gebrauch von Smartphones übersteige sogar das schädliche Nutzer:innenverhalten von Erwachsenen: „Der Durchschnitt schaltet das Smartphone 98 Mal am Tag ein, sieht also alle zehn Minuten auf das kleine Display. Die Heavy-User aktivieren das Handy sogar 130 Mal am Tag, unterbrechen sich also alle sieben [bis acht Minuten] bei dem, was sie gerade tun“ (Markowetz 2015: 180).

Das Gerät zu verbieten, ist dabei aber keine Option. Stattdessen sollten Kinder fit für den Umgang mit dem Internet gemacht, sprich die Medienkompetenz gefördert werden. Medienkompetenz ist jedoch kein Thema, dass erst und nur in den Schulen behandelt werden sollte. Kinder lernen bekanntlich mehr von Vorgelebtem als von Gepredigtem. Deshalb sollten wir uns bewusst machen, dass wir mit gutem Beispiel voranzugehen haben, um einen Domino-Effekt zu erzeugen. So sind alle Generationen gefordert, ihren Umgang mit dem Internet auf Achtsamkeit, Sicherheit und Fairness zu reflektieren. Weil es keine Pauschallösung gibt und sich die digitale Welt stetig ändert, darf dieser Reflexionsprozess niemals enden. Er muss immer wieder von Neuem starten, denn der Bereich der Medienkompetenz ist einer des lebenslangen Lernens. Dafür braucht es private Regeln und einen offenen Geist – Stichpunkt Open Mind!

Tipps für eine gute Nutzung mit dem Smartphone

  • Hol dir deine Zeit zurück von digital bilden vermittelt in zehn Kapiteln effektive Strategien, Tipps und Übungen, um den Medienkonsum nachhaltig zu verändern. Dieses Workbook gibt es als Print- oder digitaler Version. Es spricht vor allem Erwachsene an.
  • Und auch das Buch Begleiten statt verbieten: Als Familie kompetent und sicher in die digitale Welt von Leonie Lutz und Anika Osthoff können wir allen Eltern empfehlen.
  • Für Kinder empfehlen wir Coole Kids smart im Netz von MiNaGo. Dieses bietet Kindern eine tolle Einführung zum Start in die Medienwelt.
  • Ein ebenfalls für Kinder spezifisches Angebot ist die Digital Detox Challenge von Klicksafe, die im Anschluss an der Safer Internet Day 2023 initiiert wurde. Das siebenwöchige Programm ist am 22.02.2023 gestartet und hat wöchentlich einen neuen Fokus.
  • Für die gesamte Familie empfehlen wir unser Spiel ABGEMACHT! Das Kartenlegespiel zur Medienkompetenz. Dieses unterstützt bei der Vereinbarung von Regeln für einen achtsamen, sicheren und fairen Umgang im Internet.
  • Bei der Etablierung von mehr Achtsamkeit im digitalen Alltag kann mit dem Smartphone-Führerschein von MiNaGo das angeeignete Wissen nochmal überprüft werden.
  • Die von digital bilden konzipierte PhoneBox gilt als nützliche Helferin für mehr Achtsamkeit im Alltag.

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